Schweigen oder inneres Still-Sein
Mir ist es ein Herzensanliegen die folgenden Zeilen zu teilen, gerade im Angesicht dieser unerwarteten Veränderungen, die uns im größten Maße herausfordern unsere Mitte, unser Mitfühlen und unsere positive Vision der Ereignisse und vor allem innere Ruhe oder Stille zu bewahren.
Zum Einstieg eine Passage aus Eckhart Tolles Meisterwerk “The power of Now”:
“The Unmanifested is present in this world as silence. All you have to do is pay attention to it. Even during a conversation, become conscious of the gaps between words, the brief silent intervals between sentences. As you do that, the dimension of stillness grows within you. You cannot pay attention to silence without simultaneously becoming still within. Silence without, stillness within. You have entered the Unmanifested.”
Diese gegenwärtige kollektive Einkehr kann ein wundervolles Portal für diejenigen sein, die bereit sind sich nicht nur aus den Verstrickungen des Alltags zurückzuziehen, sondern auch den Geist aus der Verstrickung der Formen zu befreien. Das ist die spirituelle Komponente aller Krisen.
Krise entsteht dort wo der Geist sich an die Form haftet. Da die Form, das heißt die Situationen, die Gegebenheiten etc. aber ständiger Veränderung unterzogen sind, erleben wir sobald etwas negatives Unerwartetes eintritt oder etwas positives Erwartetes nicht eintritt, Frustration. Natürlich funktioniert das auch vice versa; sprich, wenn ein negatives Ereignis nicht eintritt bzw. etwas positves eintritt, erleben wir Freude.
In jenem Grad in dem man Frust und Freude aus bedingten Quellen schöpft, sind diese temporär in ihrer Erfahrung, das heißt nicht dauerhaft. Die spirituelle Dimension ist das Dauerhafte, Absolute, Bleibende, oder wie Tolle es formuliert das “Nicht-Manifestierte”, das spirituelle Leben ist somit das unter allen Umständen in dieser Wirklichkeit verankert bleiben.
Eine wundervolle Qualität dieses Absoluten, diesen Wahren, dieses Wirklichen, ist STILLE, oder MAUNA im Sanskrit, das Schweigen.
Sofern wir also diese Zeit nutzen, uns mehr vom Überflüssigen zum Essenziellen zu bekehren, liegt in dieser Krise eine ungeahnte Möglichkeit.
Auf einer Ebene, und das ist die, die für die meisten gerade zugänglich wird, besinnt man sich wieder auf das Wesentliche im Sinne von Familie, Einfachheit, Beziehung, Intimität, Wertschätzung etc. Auf einer anderen Ebene, wird für zunehmend mehr Menschen die Dimension der Stille (des inneren Schweigens) und des Raumes greifbar. Geradezu als würde man aus einem Traum der Form oder des Lärmes erwachen. Ganz so wie Menschen durch die Unterbrechung ihres gewohnten Alltaglebens sich der Bewusst(seins)losigkeit und der damit verbundenen Freudlosigkeit vieler vergangener Tätigkeiten bewusst werden, als würden sie erwachen aus einem Zustand der an einen Auto-Piloten erinnert. Tolle setzt dann so fort:
“When consciousness frees itself form its identification with physical and mental forms, it becomes what we may call pure or enlightened consciousness, or presence. This has already happened in a few individuals [on a permanent base], and it seems destined to happen soon on a much larger scale, although there is no absolute guarantee that it will happen. Most humans are still in the grip of the egoic mode of consciousness: identified with their mind and run by their mind. If they do not free themselves from their mind in time, they will be destroyed by it. They will experience increasing confusion, conflict, violence, illness, despair, madness. The collective egoic mind is the most dangerously insane and destructive entity ever to inhabit this planet. What do you think will happen on this planet if human consciousness remains unchanged?”
Er sieht das was einigen Wenigen als Erleuchtung zum Teil wird, also “wenn sich das Bewusstsein von der Identifikation mit physischen und mentalen Formen befreit”, als ein für den Menschen unumgehbares, ja evolutionäres Ereignis, weil sich der Mensch sonst selbst zerstören würde. Sogar eine rein materielle Sichtweise würde mit Leichtigkeit bestätigen können, dass, falls sich der Mensch in seinem Handeln nicht ändert, uns größere Herausforderungen drohen als die gegenwärtige Pandemie. Sie ist, in diesem Sinne, ein willkommener Weckruf um weit Schlimmeres abzuwenden.
So wie im Buddhismus sich alles Leid auf die Unwissenheit und den daraus resultierenden Durst (Sanskrit: trsna) zurückführen lässt, können wir nur unschwer erkennen, dass eine der zentralen Botschaften dieser Krise, uns zum Ablassen unserer Gier, und der Projektion von Angst und Mangel, bewegen will. Interessanterweise ist es nämlich genau dieses Loslassen des Wollens (oder Nicht-Wollens) das uns aus dem Zustand der Unruhe und Liebeslosigkeit zurückführt in ein Anerkennen der Verbundenheit, des Seins, des inneren Still-seins, des Schweigens, ja in seiner Vertiefung geradezu in ein Sich-Vollendet-Fühlen.
Man könnte Tolles Frage nun denn auch so stellen: “Was glaubst du würde auf diesem Planeten passieren, wenn die Menschen sich am allermeisten über ihr eigenes Dasein erfreuen würden?”
Tolles Verständnis von Befreiung von der Identifikation mit physischer und mentaler Form spiegelt das zentrale Verständnis des klassichen Yoga wider.
yogas citta vrttih nirodhah
– Patanjalis Sutras, Kapitel I, Vers 2
Das Sutra kann übersetzt werden als Yoga ist das Loslassen der Fluktuationen im Bewusstsein.
Nun, da sich in uns kollektiv immer mehr dieses Nicht-Anhaften, dieses Loslassen einstellt, wird sich auch der Menschheit im Gesamten immer mehr die Kraft der Stille und der Präsenz erschließen. Swami Satyananda Saraswati (1923-2009) beschreibt die neue Modalität des stillen Geistes eindrucksvoll in seinem Werk “Yoga and Kriya”:
“When the mind is silent and peaceful it becomes very powerful. It becomes the receptor of bliss and wisdom, a perfect instrument. Life becomes a spontaneous flow and expression of joy. All this arises naturally when the mind is in a state of inner silence.”
Im Nachfolgenden identifiziert er das was uns daran hindert aus dieser friedvollen und kraftvollen, von Seligkeit und Weisheit durchdrungenen Stille zu leben: der innere Lärm unseres ununterbrochenen Gedanken- und Gefühlsstroms.
“However, this inner silence can never arise when there is a continual stream of disturbing thoughts and turbulent emotions. All the inner noise of thoughts and emotions has to be removed before one can experience the soundless sound of inner silence”
Auch Sri Aurobindo (1872-1950) definiert Stille in ähnlicher Weise als den unbewegten oder durch Bewegung nicht beeinflussten Geist:
“Silence is a state in which either there is no movement of the mind or vital or else a great stillness which no surface movement can pierce or alter.”
Die vorangegangen Worte haben die Absicht uns zu diesem “Inneren-Still-Sein” zu ermutigen, also diese Krisenzeit zu nutzen um mehr Raum und Stille in uns und unseren Kreisen zu kultivieren. Ein Geist der einen hohen Grad an Stille aufweist, ist gleichmütig oder resilient, also belastbar, obwohl durchlässig das bessere Wort wäre.
Genauso müsste eine Gesellschaft in deren Werten wir Stille und Raum finden resilienter sein. Je mehr Raum desto weniger Eindruck hinterlässt ein Ereignis, je dichter eine Gesellschaft gestrickt ist, desto weitreichender und prägender der Eindruck.
In seinem Buch “Erleuchtung” weist uns M.G. Satchidananda verständlich darauf hin, wie sehr das Still-sein oder Mauna uns mindestens so vertraut ist, wie der innere Lärm und die Identifizierung mit physischen und mentalen Formen, also mit dem Körper und Gedanken. Im Tiefschlaf erfahren wir täglich einen Zustand von Körper- und Gedankenlosigkeit, ein “unechter” Samadhi sozusagen.
“Stille ist unser Usprung und unsere Bestimmung. Bevor wir geboren wurden und am Ende unserer Leben. Wir erfahren sie täglich, bevor wir erwachen und wenn wir nachts einschlafen. Sie ist also nicht so fremd. […] Der tiefste, erholsamste und wertvollste Teil des Schlafes in der Nacht erfolgt dann, wenn der Geist zu träumen aufhört und es nur noch Stille gibt.”
In diesem Sinne, möget ihr euch nicht täuschen lassen von Veränderung und Lärm, und noch viel weniger von Angst und Chaos, die Stille bleibt unberührt und Mauna oder das innere Schweigen ist die Kommunion mit diesem Meer an ewig-seliger Stille.
“Dao is forever nameless.”
– Daodejing, 32a
Literatur & Vertiefung:
Swami Satyananda Saraswati – Yoga & Kriya, S 736-742
Sri Aurobindo – The integral Yoga, S 118-122
M. G. Satchidananda – Erleuchtung, S 84-96
M. G. Satchidananda – Kriya Yoga Sutras S 2-3
R. Littlejohn – Daoism, S 14-24
Eckhart Tolle – The Power of Now, S107-120, 77-88
Ich glaube ohne es zu wissen, bist du ein wunderbarer Motivationstrainer! Ich würde mich sehr über einen weiteren Artikel von dir freuen.
Danke für deine Worte die mich sehr berühren!
Alles Liebe, Bianca
Lieber Christian
Vielen Dank f deine wunderbaren Worte!
Es berűhrt mich immer sehr, wenn ich deine Texte lese!
Es stimmt mich sehr ruhig u gelassen u. erinnert mich immer wieder aufs Wesentliche.
Danke dir dafűr, Sylvia
Wundervoll geschrieben!
Danke sehr für die inspirierenden Worte. Ich werde sie wirken lassen! Und mich öfter bewusst mit der Stille verbinden. Ich neige nämlich dazu, mich als kraftvollen Schöpfer zu üben, und merke dann oft, dass auch das mental anstrengend wird wenn ich ständig bewusst manifestiere… Es braucht auch das Loslassen, das Sich-Hingeben an eine größere Kraft und das Vertrauen, dass alles zu meinem Wohle geschieht…und zum Wohle aller.
Ich sende dir eine Herzensumarmung und freu mich auf ein Wiedersehen!
Om, Birgit
So wahr, und so schön geschrieben in geistiger Klarheit und Tiefe… danke Dir sehr dafür! Ich freue mich auf ein Mauna-Seminar bei Dir! _/\_ Julia