Zufriedenheit ist ein Zustand tiefer Wertschätzung und Anerkennung dessen was ist. Zufriedenheit sucht nicht dem Gegebenen irgendetwas hinzuzufügen sondern enthüllt das Geschenk in dem was gerade da ist oder passiert. Für die wahrlich Zufriedenen wäre ein Moment in dem es keinen Grund für Zufriedenheit gibt, undenkbar. Und weil es schon Grund genug ist, zufrieden zu sein, einfach deshalb weil alles so ist wie es ist, könnte man sagen, dass Zufriedenheit oder Frieden in uns als etwas naturgegebes, unbedingtes existiert.
Durch Zufriedenheit wird größte Freude gewonnen. (Patanjali II, 42)
Im Fokus des klassischen Yoga steht einerseits ein sich an das Essenzielle, an das Wesentliche erinnern (abhyasa), und andererseits eine Aufhebung von Identifkation mit vergänglichem und “Unwesentlichem” (vairagya).
Dieses Prinzip zieht sich durch das gesamte klassische Yoga System, welches in unvergleichlicher Weise durch Siddha Patanjali in den Yoga Sutras vor ca. zwei Jahrtausenden dargestellt wurde. Die Yoga Sutras bilden des weiteren die Grundlage für eines der 6 darsanas, der indisch-philosophischen Sichtweisen, neben bspw. vedanta oder samkhya.
In den Yoga Sutras spricht Patanjali im Kontext des achtfachen Yoga (astanga yoga) über Niyamas oder Verhaltensregeln zur Selbst-Disziplinierung. Dabei nennt er zu allererst Sauca; also das Kultivieren von physischer, emotionaler und mentaler Reinheit und als nächstes Santosa, Zufriedenheit.
Das aktive Kultivieren von sowohl Reinheit, also auch Zufriedenheit, soll unsere Tendenz der Verunreinigung, und der Unzufriedenheit unterbinden, wobei beachtet werden muss dass es nicht etwa darum geht Reinheit oder Zufriedenheit zu induzieren sondern darum den natürlichen, reinen, zufriedenen Zustand nicht mit diesen Störungen und Verzerrungen zu verdecken. Anhand des Beispiels dass der natürliche Zustand des physischen Körpers Gesundheit ist, kann dieses Verständnis relativ einfach nachvollzogen werden. Nehme ich dem Körper die Grundlage für Krankheit (bspw. unreine Essgewohnheiten und destruktiver Lebenstil) so bleibt Gesundheit zurück. So kommt es dass wir Gesundheit nur in Opposition zu Krankheit erleben, weil sie unser, fundamentaler, natürlicher, körperlicher Zustand ist; und so verhält es sich eben auch mit Zufriedenheit.
Ohne Unzufriedenheit wüssten wir gar nicht was Zufriedenheit ist und unsere chronische Unzufriedenheit im Blick nach Außen ist in diesem Kontext eine Folge von Unreinheit auf körperlicher, emotionaler oder mentaler Ebene. Patanjali beschreibt wie wir durch geistige Klarheit und Reinheit, eigentlich wörtlich durch die Reinheit unseres Seins (sattvasuddhi) zur wahren Schau des Selbst (atmadarsana) also zur Selbsterkenntnis gelangen.
An anderer Stelle spricht Patanjali von 5 Grundbelastungen (pancaklesa), die in einem Nicht-Wissen (avidya) unsere wahre Identität betreffend, wurzeln. Dieses Nicht-Wissen oder diese Fehlwahrnehmung resultiert in einer falschen Vorstellung von ich (asmita), und den damit verbundenen Anhaftungen (raga) und Widerständen (dvesa) und in Angst vor vermeintlichem Sterben oder Nicht-Existieren (abhinivesa).
Die Schlußfolgerung ist, dass ein reiner Geist, also ein Geist der frei von Angst, Widerstand und Anhaftung und frei von Fehlwahrnehmung ist, von Natur aus zufrieden ist.
Auch wenn die Erfahrung zu Zeiten bedingt durch starke mentale, emotionale oder physische Belastungen nicht ganzheitlich sein mag, (d.h. alle Ebenen durchdringend) so ist an der Basis durchaus beständige Zufriedenheit zu finden, eine Grundzufriedenheit, die unberührt bleibt von den Turbulenzen und Herausforderungen des Lebens.
Im Yoga spricht man auch von ananda, als einer allen Zuständen zu Grunde liegenden, unbedingten Seligkeit, die Seligkeit des Seins (sat) und die Seligkeit der Bewusstheit (chit), also sat-chit-ananda.
“Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.” (Matthäus 5,8)
Dieser Vers aus dem Evangelium ist eine nahezu perfekte Zusammenfassung des eben betrachteten.
Um den Prozess von Vergebung zu verstehen ist diese Grundlage essentiell. Vergebung ist der Vorgang, der uns von der Fehlwahrnehmung in die rechte Sichtweise führt, also im Kontext von Yoga von avidya zu vidya, von getrübter, begrenzter, eingeschränkter Sicht zu klarer, wahrer Sicht. Vergebung ist von zentraler Bedeutung um die Illusionen unserer Wahrnehmung aufzulösen. In den Yoga Sutras nennt Patanjali in Resonanz dazu upeksa, Gleichmut oder Liebe gegenüber dem Untugendhaften.
Indem man Freundlichkeit gegenüber den Glücklichen, Mitgefühl gegenüber den Unglücklichen, Freude gegenüber den Tugendhaften und Gleichmut gegenüber den Untugendhaften praktiziert, bewahrt der Geist seine ungestörte Ruhe. (Patanjali I,33)
Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen. (Matthäus 5,44)
Vergebung ist anzuerkennen, dass das Bild dass wir von Anderen oder einer Situation haben, nicht der Realität entspricht, ganz besonders dann wenn wir dadurch Liebesentzug legitimieren. Vergebung ist das Durchleuchten der Falschheit mittels der Kraft bedingungsloser Liebe. Also ist Vergebung eigentlich nicht das Vergeben von Schuld, sondern die Aufhebung des Schuldgedanken an sich, durch liebevolle Güte (maitri). Haben wir uns selbst vergeben, das heißt, erkennen wir, dass wir wahrlich frei von Schuld sind, dass wir liebenswürdig sind, dass uns also vergeben ist, so ist es uns unmöglich Schuld in ein Gegenüber zu projizieren.
Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun! (Lukas 23,34)
Vergebung ist somit die Transition von der Erfahrung “ich bin schuldig” zur Erfahrung “ich bin rein[es Bewusstsein].”
Om Tat Sat
Literatur zum Vertiefen:
M. Govindan, Kriya Yoga Sutras des Patanjali und der Yoga Siddhas
H. Schucman, Ein Kurs in Wundern